04.05.2016
Die Perfektionisten mit den Handicaps vom Musik-Café B14
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Im Musik-Café B14 herrscht die Ruhe vor dem Sturm. Die Salate stehen fertig angerichtet auf dem Tresen, die Wärmeplatten warten auf den Lachs, das Kartoffelgratin und die Bärlauch-Nudeln. Es ist 12.20 Uhr. In zehn Minuten werden 18 Teilnehmer einer Konferenz zum Mittagessen in das Restaurant schwirren. Ein Mann scheint dieser Ruhe nicht zu trauen. Er schlurft hinter der Bar hin und her. Sein Kopf ist auf den Boden gerichtet, nickt aber beständig auf und ab. „Ich bin nervös“, murmelt er vor sich hin. Als er merkt, dass er beobachtet wird, grinst er.
Der Aufgabe, die vor ihm liegt, ist er eigentlich gewachsen. Er hat schließlich schon hunderte Male zuvor Gäste bedient. Erwin ist 55 Jahre alt und ist geistig behindert. Zusammen mit seiner ebenfalls beeinträchtigten Kollegin Sabrina soll er die Gäste in ihrer Mittagspause mit Getränken versorgen. Erwin ist Mitarbeiter im Musik-Café B14 in Wernberg-Köblitz (Landkreis Schwandorf), das auch über die Oberpfalz hinaus bekannt ist.
Ein großes Team stemmt die Arbeit
Das Lokal wurde 1994 gegründet und gehört zu Dr. Loew Soziale Dienstleistungen – einem Unternehmen, das Menschen mit geistigen, psychischen und körperlichen Einschränkungen, Senioren und Jugendliche unterstützt. Das Team besteht aktuell mit allen Hilfskräften aus 32 Menschen – darunter sind zwei ausgebildete Heilerziehungspfleger, zwei Köche und 13 Menschen mit Handicap.
Der Betrieb funktioniert über zwei Schichten. In der Früh und am Nachmittag bleibt das Lokal geschlossen – in dieser Zeit werden der Gastraum und die Küche für den Abenddienst vorbereitet. Wenn es ganz dicke kommt, nutzen während der ersten Schicht Firmen die hauseigenen Konferenzräume – heute sind sogar zwei Gruppen zu Gast. Um 17 Uhr verwandelt sich das B14 dann in ein gut gehendes Lokal. Am Wochenende ist es meist ausgebucht. Im Sommer brummt der Biergarten. Taufen, Kommunionen oder Hochzeiten – die Anfragen für private Feiern schneien herein.
Das Team hat also reichlich zu tun. Und das schon seit 8 Uhr morgens. Denn da beginnt für Erwin und Sabrina die Arbeit. Die Abläufe sind immer die gleichen: Boden wischen, Flaschenschübe auffüllen, Kaffeemaschine reinigen – die Mitarbeiter mit Handicap wissen, was sie zu tun haben, und sie machen es gründlich. Von der Küche über den Gastraum bis hin zu den Toiletten – überall blitzt es.
Um 10.30 Uhr, die Teilnehmer der ersten Konferenz waren noch mitten in den Besprechungen, stand Erwin hinter der Bar und blickte hoch zu Sabrina, wie diese auf einer Trittleiter balancierte und ihm eine Schnapsflasche nach der anderen herunter reichte. Die beiden putzten den Thekenkranz. An der Bar reihte sich eine Flasche an die andere, fein säuberlich, exakt in der Reihenfolge, wie sie von Sabrina heruntergegeben wurden.
Alles muss perfekt sein
„Bei Bestellungen darf nichts schief gehen“, sagt er. Es ist der Druck der Perfektion, den sich beide Mitarbeiter auferlegen. Beim letzten Getränk passierte Sabrina dennoch ein kleiner Fehler. Bei einer heißen Schokolade spritzte etwas Milchschaum auf die Untertasse. Sie ärgerte sich. Auch die besänftigenden Worte des Gastes, dass das überhaupt kein Problem sei, änderten nichts daran. Sie gab das Getränk erst heraus, als es ihr perfekt erschien. Erwin versuchte zu trösten: „Basst scho, Sabrina“.
Es ist 12.30 Uhr. Die Konferenz-Teilnehmer sind zum Mittagsbuffet im Gastraum erschienen. Erwin hört auf, nervös hinter der Bar hin und her zu schwirren. Er nimmt mit Sabrina Bestellungen auf: zwei kleine Spezis, eine große Cola, ein kleines Wasser mit Spritz oder ein großes stilles Wasser – die Wünsche sind unterschiedlich, die Arbeitsweisen der beiden auch. Sabrina kann schreiben. Sie fasst die Bestellungen auf einem Block zusammen und arbeitet die Liste gewissenhaft ab.
Erwin dagegen muss sich die Wünsche merken. Er ist motiviert, fast schon etwas überdreht, wenn er sich den Gästen nähert. Seine Augen glitzern, sein Gesicht strahlt, wenn er mit ihnen spricht. Doch er hat ein Problem: Bei drei Getränken bekommt er langsam Schwierigkeiten, sie im Kopf zu behalten. Zum Glück hört Eva zu, die Heilerziehungspflegerin hinter der Bar. Als er hinter die Theke kommt, stehen die richtigen Gläser und Flaschen bereit. „Ein Getränk nach dem anderen“, ermuntert ihn Eva.
Quelle: Mittelbayerische Zeitung